Weihnachten. Fest der Liebe, der Freude und der Familie.
Licht im Winter. Versprechen der Vergebung und des Neuaufbruchs.
Das muss gefeiert werden, und zwar mit reichlich Geschenken!
So oder so ähnlich heisst es schon wochenlang im Vorfeld des großen Festes. Egal ob christlich oder nicht, an dieser Botschaft kommt niemand vorbei, dafür sorgen Einkaufszentren, Werbebotschaften und die Countdown-Aktionen der Online-Riesen mit Noch!Mehr!Angeboten! schon. Alles weitere erledigen die eingefahrenen Routinen verwandschaftlichen Rollenverhaltens.
Weihnachten- Muss das wirklich sein?!
Ich bin kein Weihnachtsmuffel, denn ich kann der Vorfreude auf ein paar Tage in Stille und Ruhe einiges abgewinnen. In sich gehen, über das vergangene Jahr nachdenken, den einen oder anderen Ballast loswerden und nach den hellen Momenten im stressigen Alltag Ausschau halten…klingt nach einem perfekten Plan.
Wäre da nicht….ja was eigentlich?
Was hält mich dann wirklich davon ab, in mich zu gehen und Inventur zu machen? Ein paar Brettspiele rauszukramen und sie mit den Kindern zu spielen? Uns mit minimalistischem, gutem Essen zu versorgen anstatt von einer Buffettschlacht zur nächsten zu taumeln?
Niemand. Oder?
Schauen wir doch einmal genauer hin.
Wie ich schon sagte beginnt der Countdown der Erwartungen bereits Wochen vorher. Fragen über Fragen kommen aus allen Ecken und wollen, sollen, nein- müssen beantwortet werden!
Dabei lassen sich die Erwartungen in verschiedene Kategorien unterteilen:
1. Grundsatzfragen zum Fest aka Dazugehören wollen.
Wer isst mit wem und wo? Wer wünscht sich was? Wo kriege ich das, was xy sich wünscht? Kann ich mir das auch leisten? Mit wem muss ich anlässlich des großen Familienfestes reden, obwohl tiefe Gräben seit Jahren zwischen uns bestehen? Halte ich es aus, so zu tun als ob? Oder sage ich diesmla direkt, was ich denke?
2. Fragen zur gesellschaftlichen Passung aka Der Punkt, an dem auffällt, dass ich anders bin.
Werde ich wieder gefragt, was ich „gerade so mache“? Ob ich erfolgreich bin? Was „meine Kinder so machen“? Ob ich eine „gute Mutter“ bin, aus deren Kindern etwas geworden ist? Was sage ich, wenn ich immer noch single, alleinerziehend, in prekärer Beschäftigung, schwul, lesbisch, trans, noch unentschieden, politisch links/grün/feministisch, mit Migrationshintergrund, ohne Migrationshintergrund, mit Haustieren, ohne Sugardaddy, am Forschen in einer schlecht bezahlten Fakultät aber mit Liebe, verliebt, nicht verliebt, und überhaupt….. bin?
3. Fragen zur familiären Rolle aka Das Fallbeil der Hierarchie.
„Inga und Peter haben geheiratet. Wann ist es bei euch soweit?“
„Oh, jetzt seid ihr schon so lange verheiratet. Wann dürfen wir denn mit Nachwuchs rechnen?“
„Ernsthaft- das mit deiner Freundin ist doch nur eine Phase. Du hast nur noch nicht den richtigen Mann kennengelernt!“
„Ah, die Martina hat sich jetzt ja selbstständig gemacht. Wahnsinnig erfolgreich, so finanziell. Und du? Forschst du immer noch zur transnationalen Geschlechtergerechtigkeit anhand des Vergleichs der Struktur familienpolitischer Steuerungssysteme?“
Ihr seht schon, auf diesem Boden gibt es keine Gewinner.
Warum also nicht einmal von vorne herein etwas anders machen? Oder zumindest, da wir heute den 25.12. haben, für die Zukunft lernen? Ich habe dieses Jahr ein paar Ideen ausprobiert, und sie haben ganz gut funktioniert:
– Einladungen und Besuchsangebote ablehnen, die man auch sonst unter dem Jahr abgelehnt hätte. Gab lange Gesichter- und klare Fronten. Und für mich mehr Zeit für das, was mir wirklich wichtig ist.
– Einkaufen lange vor dem 23.12. mit einem Essensplan, einer Getränkeliste und ausreichend Zeit. Mache ich immer so, aber gerade vor den Feiertagen von unschätzbarem Wert.
– Minimalistische Geschenke basteln/organisieren/absprechen. Ich nehme gerne Ideen für gemeinsam verbrachte Zeit an und verschenke diese viel lieber als „Dinge“. Gemeinsam kochen statt Essensgutschein. Spazieren gehen statt Fitnessclub-Membership. Anpacken beim Umzug statt Möbeldiscounter-Gutschein.
– Die Türen anlehnen, aber offenhalten. Spontaner Besuch ist gerne willkommen, solange nicht von mir ein Rundum-Sorglos-Paket erwartet wird. Essen aus dem Froster geht auch mal, wenn dafür mehr Zeit für schöne Gespräche bleibt.
Und am allerallerwichtigsten: Immer wieder Ankern.
Im Hier und Jetzt sein.
Wahrnehmen, wie es mir geht, was ich fühle, wo ich bin.
Atmen, tief in den Bauch hinein.
Bei meiner Routine bleiben und Meditieren.
Viel klares Wasser trinken und auch mal die vier Wände verlassen.
Und wenn etwas anders läuft als geplant- darüber lachen und neue Pläne machen.
Damit fahre ich immer gut.
Ich wünsche euch eine ruhige, entspannte, liebevolle Zeit, ganz besonders für euch selbst.
Und denkt dran: Die Schlacht wird im Kopf gewonnen, nicht auf dem Feld.