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Vereinbarkeit? Eher nicht.

Letzte Woche ist etwas hervorragendes passiert: Mein Sohn hat die Schule beendet und damit sind beide Kinder den Weg, ihren Weg, durch die Institutionen gegangen. School´s Out for summer…and forever! „Endlich frei“, dachte ich, und dabei ging es nicht um meinen Sohn, der nun die Welt (und sich selbst) vor sich hat, sondern um MICH.

Die besten Jahre

Als ich darüber nachdachte, warum ICH mich so erleichtert fühlte, dass auch Kind 2 endlich den Abschluss hat und somit eigenverantwortlich wählen kann, was er macht, wohin er geht und in welche Richtung er sich entwickeln will, wurde mir klar: Die letzten Jahre haben ihren Tribut gezollt. Es ist so, als hätte ich selbst noch zwei Mal die Schulbank gedrückt, mich auf Klassenarbeiten vorbereitet, Ausflüge geplant, Sechsen kassiert, mein Sportzeug verloren, Kämpfe auf dem Pausenhof gehabt, Wandertage bestritten, am Sportfest mitgemacht, Weihnachtsbasare bestückt und…Moment. Das habe ich tatsächlich getan. Zwar nicht in persona, aber ich war immer, bei Allem, dabei:

Mama macht das schon.

Kuchen backen, Hin und Herfahren, Abholen, diskutieren, vorbereiten, nachbereiten, Termine wahrnehmen, Lehrer bestätigen oder Zuhause an den „Empfehlungen“ der Schule arbeiten, Konsquenzen durchsetzen, mich mit anderen Eltern herumärgern, Grillabende im Wald abhalten, Geld bereitstellen für Fahrten/Geschenke/verloren gegangene Sportschuhe, dem Konkurrenzkampf zwischen Eltern aus dem Weg gehen, mich mit meinen eigenen Schulerfahrungen auseinander setzen…und oh! Die Elterngespräche, die Leistungsbeurteilungen, die Zeugnisse und Noten!

Mittendrin, ungefragt

Klar, ich wollte Kinder und war mir meiner Verantwortung bewusst. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass die Familienarbeit in Bezug auf Schule eigentlich ein Vollzeitjob ist. Problem: Als Alleinerziehende hatte ich schon einen Job, und der war keine mimimi 5 Stunden in der Woche, sondern beinahe auch Vollzeit. Plus Haushalt, Organisation und dem winzigen „Rest“, der in einem Mehr-Generationen- Wohnprojekt mit Haus und Tieren so anfällt.

Rückblickend ist mir nicht klar, wie ich, wie wir, das unbeschadet überstanden haben. Und ich glaube auch nicht, dass wir unbeschadet aus den letzten Jahren herausgegangen sind, denn sonst wäre ich nicht so unglaublich froh, dass wir (ich) es geschafft haben.

Care-Arbeit ist weiblich

Klar ist, dass auf mir als Mutter ein besonderer Druck liegt: An uns, den Frauen, wird ja im Allgemeinen der soziale Erfolg der Gesellschaft gemessen. Die Kinder sind unartig? Schlechte Erziehung (die hauptsächlich von den Müttern geleistet wird). Kind zu dick/zu dünn/schlechte Zähne? Die Mama hat es zuhause nicht im Griff (den abwesenden Vater fragt keiner). Pflegenotstand? Die Jobs die Frauen früher „umme“ gemacht haben, nämlich die Familienarbeit, wird so schlecht entlohnt bei so hoher Verantwortung und miesen Arbeitsbedingungen, dass das System nicht mehr funktioniert, seit…na klar, Frauen in andere Berufe gehen. Was müssen die jetzt auch alles auf einmal wollen?!

Was ich hier etwas zynisch darstelle, ist ein ziemlich trauriger Zustand. Als Pädagogin ist es mir eine Herzensangelegenheit, dass Kinder lernen, sich bilden, sich die Welt erschließen. Leider ist das aktuelle System mit seinen Ungleichheit fördernden Strukturen nicht für alle Familien ein Ort, in dem all das ungehindert stattfindet. Im Speziellen auch nicht für Kinder, für die das Ganztagssystem nichts ist, weil sie zu sensibel sind, bestimmte Förderung benötigen oder weil es wenig gute Angebote vor Ort gibt, die den Interessen der Kinder und Möglichkeiten der Familien entsprechen.

Vereinbarkeit? Fehlanzeige.

Bevor jetzt der Shitsorm losgeht, ich hätte als Mutter ja wissen müssen was auf mich zukommt: Wusste ich. Trotzdem. Es war ein ziemlicher K(r)ampf, und ich habe viel Kraft aufgewendet, damit wir (ja, auch ich!) gut durch die Schulzeit kommen. Manchmal hätte ich mir gewünscht, ich müsste mich nicht entscheiden, ob ich zuhause bleibe/ weniger verdiene oder Vollzeit arbeite (weil meine Kinder die Ganztagsschule abgelehnt haben und ich mir keine andere Betreuung leisten konnte) und ob ich entsprechend in der Schule mitarbeiten kann. Denn ich liebe meine Arbeit- und meine Kinder. Auch ein wenig Mitdenken von den Veranstalter*innen von Schulfesten („bitte backen Sie ein bis drei glutenfreie Kuchen ohne Zucker und Nüsse und teilen Sie sich für den Aufräum-, Verkaufs- und Abbaudienst ein, wenn Sie noch nie geholfen haben“), Elternabenden (18 bis 21h, als hätten Alleinerziehende direkt nach der Arbeit nichts anderes zu tun), Klassenfahrten (die Abschlussfahrt hat satte 490 Euro gekostet, ohne Taschengeld oder Ausstattung etc.) hätte ich mir gewünscht. Denn eigentlich wollen wir doch alle, im besten Fall, dass die nächste Generation mit all dem ausgestattet wird, was sie braucht, um in der Welt zurecht zu kommen.

Was ich gelernt habe

Um dem Jammern Aufzählen von Missständen und struktureller Ungerechtigkeit ein Ende zu machen, schaue ich jetzt noch einmal, was uns die Zeit gebracht hat (außer dem Schulabschluss als Eintrittskarte in die Berufswelt natürlich): Wir haben uns Durchhaltevermögen, Kompromissbereitschaft und Ressourcenarbeit angeschafft, unsere Identität verteidigt und uns ein Netzwerk an Unterstützern aufgebaut. Ich ganz speziell weiß jetzt wieder, wie ich im Umgang mit Systemen meine eigene Position bewahre, Grenzen abstecke und dabei nicht dogmatisch vorgehe, sondern mich auf einen Prozess einlasse, der mich hoffentlich weiterbringt. Ich habe gemerkt, wie wichtig mir der Wert Bildung ist, und dass er kein Widerspruch zu (relativer) Freiheit sein muss, wenn man bereit ist, sein Leben danach auszurichten (konkret: Ich habe die Kinder aus der Ganztagsschule genommen, unseren Haushalt/unsere Kosten minimalisiert und meine Arbeitszeit entsprechend umgestaltet). Meine Kinder haben sich hoffentlich von unseren Diskussionen inspirieren lassen und werden, bei ihren Kindern, einen eigenen, starken Weg finden.

Ende gut…?

Es wäre verfrüht zu sagen, ob dies das letzte Kapitel in Richtung Anpassung an ein bestehendes System war. Eher nicht, nehme ich an. Trotzdem fühlt es sich wie ein Erfolg, ein erreichtes Ziel, ein Meilenstein. Es war nicht leicht, aber Reibung erzeugt ja bekanntlich Wärme. Wir verbrennen die Schulunterlagen daher auch ganz traditionell. Soll ja keiner sagen, wir hätten nichts gelernt.