Suche
  • post[at]anker-im-alltag.de
Suche Menü

Was willst du er-leben?

Vor einigen Tagen war ich an einem meiner Kraftorte, zu denen es mich immer wieder hinzieht, wenn ich mir mehr Klarheit wünsche. Es ist ein friedlicher, stiller Ort mitten im Grün, mit weitem Blick hinunter auf alte Streuobstwiesen. Meistens bin ich dort für mich, optimale Voraussetzungen also, um die eigenen Gedanken besser hören zu können.

Die Frage, die mich dorthin getrieben hat (neben den wunderschön frisch aufgeknospten Apfelbäumen) war eine ganz essentielle, die du sicher auch kennst:

Was will ich noch er-leben?

Die Frage beschäftigt mich schon einige Wochen, und die Ruhe und Abgeschiedenheit der Corona-Zeit hat sie noch stärker in den Fokus gerückt.

Wenn du meinen Blog schon länger liest, weißt du vielleicht, dass ich schon recht nah an meinem Idealbild von „Leben“ dran bin:

Ich arbeite freiberuflich, coache aus Leidenschaft, lebe mit meinen Liebsten unter einem Dach und übe mich dank 4 Hasen in Demut und Improvisationsbereitschaft. Dass ich hier schreibe, ist Teil meines Lebenstraums.

Also- warum sollte es noch mehr geben?

Den Mann an meiner Seite hat es oft überfordert, dass ich den Blick unaufhörlich nach Innen richte und auf der Suche bin. Suche- nach was eigentlich? Ist nicht schon alles da? Sollte ich nicht endlich mal zufrieden sein? Es einfach mal gut sein lassen?

Ich kann „es“ gut sein lassen. Aber ich will nicht.

Ich will das ganze volle Leben.

Als ich angefangen habe, mich mit dem Thema Vereinbarkeit als Alleinerziehende auseinander zu setzen, war ich selbst die Zielgruppe, von der ich heute weiß, dass sie es so schwer hat, eine regelmäßige Balance zu finden.

Ich war dauerhaft überarbeitet, das schlechte Gewissen zerrte an mir, und Geld bzw. Ruhe waren Mangel in meinem Leben. Ich wollte trotzdem weiter, das Diplom machen, endlich arbeiten und in die Beratung gehen, und natürlich kam ich an mein Ziel.

Nur- der Weg war nicht umsonst dorthin. Lange standen Lernen, Geld verdienen und Kindererziehung in meinem Fokus, so dass ich einige der Stimmen meines Herzens leiser dimmen musste, um durch den Tag zu kommen.

An wem orientierst du dich?

Heute weiß ich, ich hätte mir jemanden gewünscht, der mich vertrauensvoll anstupst und mir sagt, welche anderen Realitäten noch im Angebotsspektrum der Möglichkeiten sind. Oder dass das gesellschaftlich akzeptierte Hamsterrad eine Falle ist.

Zum Beispiel hätte ich dann gewusst, dass ich nicht gleichzeitig eine blankgeputzte Küche und ein fertig geschriebenes Kapitel meiner Diplomarbeit haben muss. Oder dass es okay ist, wenn wir nicht jeden Tag bio essen, solange alle satt sind und die Kinder einen guten Tag haben. Oder dass auch ich, die Mutter und Rudelführerin, mir etwas gönnen darf-ohne den Kindern etwas mitzubringen.

Ziemlich lange habe ich also alle möglichen Klischees verfolgt, wie einerseits die „gute Mutter“, andererseits die „gute Studentin“ und später die „gute Arbeitnehmerin“ zu sein hat.

Der vermeintliche Gewinn war das Gefühl, „normal“ zu sein. Nicht aufzufallen. Der Preis war mein Herz, das seine Sehnsucht versteckt.

Wenn ich heute frage, was ich noch er-leben will, hat das den tieferen Hintergrund, dass ich MICH mittlerweile in den Vordergrund stelle. Die Kinder sind groß, die Küche ist mir schnurz, und wenn meine Doktorarbeit, die ich dieses Jahr abgebe, „nur“ eine zwei ist, überlebe ich das auch.

Was mir nicht mehr egal ist, ist der Blick in den Spiegel: Ich will mich glücklich sehen. Ich will in mich strahlen sehen! Und ich will nicht mehr darauf warten, dass mir irgendwer die Erlaubnis gibt, endlich endlich den bunten Regenbögen meiner Seele hinterherzujagen.

Mein größtes Corona-Learning hat mir dahingehend noch einmal die Augen geöffnet:

Während viele Diskussionen im Netz sich darum drehen, dass das geliebte Shoppingcenter oder die Bar dicht gemacht haben, freue ich mich über die Zeit, die mir zum Nachdenken und In-Die-Tiefe-Gehen blebt.

Was für ein Luxus nach den Jahren des Alleinerziehend-Lernen-Existenzsichern-Überleben- Marathons!

Im Alltag muss ich nicht mehr Konsumieren. Dinge kaufen ist kurzlebig. Es hat mir nichts ausgemacht, dass die Läden geschlossen waren. Der Hofladen um die Ecke hat alles, was ich brauche.

Was mir wirklich fehlt, sind die Begegnungen mit Menschen, die Gespräche draussen am Rhein, das Beobachten der Schwarmintelligenz auf einem Festival, und: im Alltag die Zeit zum Träumen. Immer wieder komme ich an diesen Punkt. Ich träume für mein Leben gern. Und dann schreibe ich auf, wovon ich geträumt habe.

Um auf die Frage vom Anfang zurückzukommen: Mein Anker im Alltag sind Zettel und Stift, analog oder digital, in Farbe oder schwarz-weiß. Das will ich weiter er-leben. Das werde ich weiter ausbauen. Schreiben, bis der Arzt kommt. Oder die Erleuchtung.

Und du?

Kennst du deine Seelenregenbögen? Was willst du tun, was du tief vergraben hast? Was willst du dir endlich erlauben? Gibt es da etwas? Höre ich ein Ja?

Frag dich ruhig einmal, trau dich hinzusehen. Du darfst dir vertrauen. Es macht nichts, dass die ersten Schritte hin zu endloser Zuckerwatteglückseligkeit etwas unsicher sind. Es ist okay, wenn du langsam anfängst, dich wieder mehr liebzuhaben.

Du darfst dein Leben er-leben. Was dir nicht gefällt, mach einfach neu. Und wenn du Hilfe dabei brauchst, schreib mir.