Im heutigen Artikel möchte ich dir ein paar Fragen stellen, von denen ich weiß, dass sie zumindest mich sehr berührt haben. Es geht darum, ob du dich selbst in deinem eigenen Label gefangen hälst oder ob da noch Spielräume sind, in denen du dich ausprobieren kannst.
Labels: Kleine nette Ettketten, die auf Waren prangen und dir Herkunft, Preis und andere Daten mitteilen.
Aber es sind nicht nur Anhängeschildchen, sondern auch Zuschreibungen, die deine soziale Position bezeichnen. Zuletzt erhielt die Debatte um Labels immer mehr Aufmerksamkeit durch Themen wie Gendering in der Sprache oder Othering im Sozialen.
Durch die Kritik an den Inhalten, die automatisch (also auch vorurteilsbehaftet) mit bestimmten Rollen oder Erscheinungsbildern verknüpft sind, kann eine gute Diskussion entstehen- wenn sie offen und auf Augenhöhe geführt wird und nicht ÜBER die Menschen, die das Label tragen.
Dein Label ist dein Aushängeschild- indirekt oder sichtbar
Für mich als Sozial Arbeitende sind Labels immer dann interessant, wenn es darum geht, Menschen nicht in bestimmte Schubladen zu stecken oder Ressourcen zu finden, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind.
Das Label, das ein Mensch mit sich herumträgt oder das Dritte ihm verpasst haben, ist oft der erste Zugang zu den versteckten Schätzen. Zu wissen, wer man ist oder welche Diagnose die zu schaffen macht, kann auch Sicherheit bieten.
Aber: Ein Label, das abgelaufen, unpassen doder schlichtweg falsch ist, bringt eine Einschränkung mit sich, die zum Gefängnis werden kann.
Wenn du herausfinden willst, welche Labels du so mit dir herumträgst, beende einfach den folgenden Satz:
Ich bin….
Was schreibst du auf die gepunktete Linie? Eine Frau? Ein Mann? Tochter meiner Mutter? Ein Niemand? Arbeitslos? Auf Arbeitssuche? Exjunkie? Alkoholabhängig? Auf der Suche? Frei?
Was auch immer du antwortest, ist Verantwortung und Erleichterung zugleich. Verantwortung deshalb, weil mit dem Tragen eines Labels auch eine Verpflichtung einhergeht:
Als Mutter zb werden viele Erwartungen an dich gestellt, die du zum Teil auch ungefragt übernimmst. Das kann eine Weile klare Sicht verschaffen und du weißt, was zu tun ist (dh was die Gesellschaft von dir erwartet).
Da aber, wo dir alte Labels noch ankleben, etwa aus deiner Jugend oder aus einer Zeit, in der du dich noch wenig um deine Persönlichkeit gekümmert hast, werden Labels zu Stricken. Sie ziehen dir die Luft ab und du verwickelst dich, bis du das Label ablegen kannst oder bis du es bis zum Klischee erfüllst.
Zugegeben, bei einigen Zuschreibungen ist das Ablegen schwer bis unmöglich.
Frausein zum Beispiel ist sozial konnotiert und wird sozial hergestellt. Das, was wir als Frauen dürfen/sollen/müssen/erwarten können, hat sich in den letzten 100 Jahren zwar grundlegend geändert und ist immer noch dabei, sich zu wandeln.
OB das Label dabei allerdings mitkommt bei diesen Veränderungen, steht auf einem anderen Blatt, wie wir an den aktuellen Diskussionen um Berufstätigkeit und Erziehung immer noch sehen. Und: Labelling ist kulturell überformt. Frausein in verschiedenen Teilen der Welt unterscheidet sich daher gewaltig.
Was hast du jetzt davon, dein Label zu kennen?
Im Bereich deiner persönlichen Entwicklung kann es sich für dich lohnen, sehr genau hinzusehen, welche Identitätsbeschreibung du dir selbst so auferlegt hast. (Die Labels von Anderen lassen wir mal außen vor, das,was ÜBER uns gesagt oder vermutet wird, können wir in den seltensten Fällen ändern.)
Warum? Du gewinnst eine neue Freiheit oder kannst deine Grenzen fester ziehen. Wenn du in meinem Intro gelesen hast, weißt du zum Beispiel, dass ich mein Alleinerziehendsein heute kritisch hinterfrage, obwohl es mir jahrelang als Label und Sicherheitsgefüge gedient hat: Es war für mich (!) eine Abgrenzung zum familiären Gros der Gesellschaft, die ich ungefragt als Abweichung angenommen habe und mich dahingehend auch interpretiert habe.
Heute, fast 20 Jahre danach, gibt es für das Alleinerziehen so viele neue Facetten, dass ein Teil der (privilegierten) heutigen Alleinerziehenden meinen Kampf mit der Position nur noch schwer nachvollziehen können. Auch ich muss in Auseinandersetzung mit den heutigen Chancen des Einelterntums noch einmal reflektieren, ob ich mich hinter dem Label versteckt habe. Oder ob ich keine anderen Möglichkeiten hatte, damals, in einer anderen Zeit, um mich zu positionieren. Oder ob es auch Gewinne gab, etwa mein ganzes Erfahrungwissen, das ich heute mit dir teilen kann.
Eine abschließende Antwort auf das Labelling kann es wohl nicht geben. Ich möchte dich trotzdem ermutigen, hinter die Fassade der Begriffe zu schauen, mit denen du dich benennst.
Bist du zb wirklich beziehungsunfähig, oder willst du dich einfach noch nicht deinen Traumata stellen? Bist du wirklich schlampig oder liegt eine psychische Erkrankung dahinter, die noch nicht behandelt wird? Und umgekehrt: Bist du wirklich ein Außenseiter oder kannst du dich nur sehr gut um dich selbst kümmern, und es macht dir nichts aus, für dich zu sein?
Wo stehst du heute hinter dem Bild, das du als dein Image erschaffen hast und andere von dir haben? Stimmst du noch mit der Beschreibung auf deinem Etikett überein?
Ich hoffe, ich konnte dich ein bisschen dazu anregen, genauer hinzuschauen, wie du dich benennst oder benennen lässt und was das mit dir und den Anderen im Umgang miteinander macht.
Deine kritische Diskussion ist erwünscht und ich freue mich, wenn du darin mehr und Neues über dich erfährst und sich dir neue Freiheiten zeigen, die du vor dem Labelling noch nicht sehen konntest.
Und wer weiß- vielleicht bekommst du mit einem neuen Zugang zu deiner Identität auch neues Selbstbewusstsein und mehr Liebe für dich und für das, was du tust. Wäre doch was 😉