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Erziehen in der Krise

Als ich klein war, war meine Welt überschaubar: Es gab das Haus in dem ich lebte, die Straße, in der meine Freundinnen lebten, den Spielplatz um die Ecke, den Kindergarten. Später die Schule und den Einkaufsladen, in dem ich Brot holen durfte. Vorne am Eck war der Bauer, dort gab es Kartoffeln und Milch, und manchmal durfte ich in den Stall schauen. Mein Vater ging arbeiten, meine Mutter war zuhause, und meine Großeltern lebten auch mit im Haus.

Je älter ich wurde, umso weniger idyllisch kam mir dieses Leben vor. Das Haus wurde enger, die drei Generationen unter einem Dach wurden anstrengender, und ich erkannte die Unterschiede zwischen unserer Familie und den Familien meiner Klassenkamerad*innen. In anderen Familien weichten die Grenzen zwischen den Eltern und Kindern langsam auf. Es wurde diskutiert, manchmal sogar ein gemeinsamer Rotwein am Tisch getrunken. Es wurde über Tschernobyl geredet, über AKWs und braunes Gedankengut, über das Recht, Tiere zu essen und sich aus der Kirche zu verabschieden. Dazu kam der normale Pubertätswahnsinn: Meine Freund*innen durften abends raus, wenn es schon lange dunkel war, und das Familienauto war eine Art Tauschmittel und Gemeinschaftsgut- zumindest bei den Anderen. Nicht bei uns.

Die Welt wurde größer, aber meine blieb klein

Damals merkte ich nach und nach, dass es Unterschiede gibt in Familien. Dass das, was wir Zuhause sehen und lernen, zuerst zwar unsere ganz eigene Welt ist. Dass aber jede*r in seinem eigenen Universum aufwächst. Und dass damit auch unterschiedliche Chancen und Grenzen verbunden sind, die wir erst einmal so hinnehmen müssen, wenn wir überleben wollen.

Durch die Pubertät hinweg fand dann ein Anpassungs- und Befreiungsprozess statt, der sich gewaschen hatte. Alles, nur nicht S O sein. Nur weg hier, nur raus, hinaus in die Freiheit. Barfuss laufen, Vegetarismus, Rockmusik. Mein Blick öffnete sich weiter, und ich begann, mich mit den vielen bunten Möglichkeiten auseinander zu setzen, die sich mir nun mit der gewonnenen Freiheit boten.

Als ich Mutter wurde, stellte sich mir erneut die Frage, welche Welt und entsprechend welche offenen und geschlossenen Räume ich meinen Kindern bieten wollte. Wer sollte wie lange aufbleiben dürfen? Welches Taschengeld sollte es geben? Sollte ich Fleisch kochen oder sie vegetarisch ernähren? Was ist mit der spirituellen Erziehung, und in welche Schule sollten sie gehen? Eine Puppe für meine Sohn? Eine Werkbank für meine Tochter? Ich fand Lösungen, die für uns alle gut funktionierten. Der Plan schien perfekt.

Bis meine Ehe nicht mehr funktionierte.

Von heute auf morgen bot sich mir eine andere Realtität dar. Der Lebensentwurf war auf Zwei ausgelegt, zwei Erwachsene zur Kinderbetreuung, zur Einkommenssicherung, zur Hausarbeitsteilung, zur Tagesorganisation. Zwei Mal Liebe und Geborgenheit für die Kinder. Zwei familiäre Netzwerke als Rückendeckung. Und nun war ich übrig geblieben: Eine Mutter, die arbeitet/studiert. Eine Mutter, die müde ist. Eine Mutter, die lernen muss. Eine Mutter, die tröstet/wäscht/putzt/einkauft/ins Bett bringt/haushalten muss. Eine phänomenale Krise.

Klar, es gibt ein Happy End. Alle sind gesund und munter, Glück, Liebe und Frieden in da house.

Aber der Weg dahin…

Ich denke heute auch an diese Zeit, wenn ich junge Familien sehe, die in Zeiten des Klimawandels versuchen, eine Lösung für ihre Kinder und für sich zu finden. Eben war die Zukunft noch einigermaßen okay, es war noch schön und es gab noch Möglichkeiten, die Augen wenigstens ein bisschen zu verschließen vor der großen globalen Tragödie. Aber nun?

Wie sollen aufmerksame und empfindsame Familien ihre Kinder erziehen? Sollen die Eltern wieder in traditionelle Rollen steigen (einer draussen, einer daheim), damit von einm der Erwachsenen Brot gebacken werden kann, Hausmittel zur ökologischen Reinigung hergestellt werden können und das Feld hinter der Wohnung mit den Kindern zusammen bestellt werden kann? Während die andere erwachsene Person das Angebaute tauscht, den Arbeitsweg mit dem Rad zurück legt und im Dorfgemeinschaftshaus Kurse zur ökologischen Bildung gibt, damit Einkommen im Haus ist?

Das funktioniert nicht für alle Familien in Deutschland.

Die strukturellen Unterschiede ökonomischer, bildungstechnischer und informationstechnischer Art machen es unmöglich, dass sich alle Menschen der Krise unter gleichen Bedingungen zuwenden können. Ich weiß das, denn ich war da: Ohne fertigen Abschluss, kein Unterhalt, eine überteuerte Wohnung, Kinder, die eine Trennung verabreiten müssen, ein unverständiges Netzwerk, keine gute Infrastruktur, nicht genügend Wissen über Möglichkeiten, und, ganz am Ende, aber deshalb nicht weniger wichtig: Einfach zu wenig Kraft, um Alternativen auszuprobieren.

Erst das Fressen….dann das Klimabewusstsein.

Ich höre schon die Gegenstimmen: Ja aber gerade in diesen Zeiten muss man doch …. nein. Überleben musst du. Ja, auch in unserem reichen, schönen, klimagefährdeten Deutschland müssen Familien noch dafür kämpfen. Die Frage, ob du dich mit der Klimakrise auseinander setzen kannst, setzt voraus, dass du dich mit den im JETZT befindlichen Problemen auseinander gesetzt hast.

Das heisst: Dein Essen/deine Wohnung/dein Geld/deine Gesundheit sind gesichert. Nicht nur heute, sondern die nächsten Wochen. Dein Zuhause ist sicher, du wirst nicht bedroht, du hast keine Angst um deine Kinder. Du hast genug Schlaf/Ruhe/Kraft, und du kannst deine Emotionen mit netten Menschen bearbeiten oder wenigstens darüber sprechen, wie es dir geht.

Erst wenn das alles steht, kannst du dir den Luxus leisten, dich um globale Dinge zu kümmern. Zum Beispiel darum, ob du deine Kartoffeln bio kaufen kannst. Ob du den Anfangspreis in Stoffwindeln investieren kannst. Oder ob du die Sonnencreme kaufst, die ohne Erdöl hergestellt wurde. Wer sagt, dass das nur ein Problem der Einstellung sei, ist blind für die tatsächlichen Verhältnisse unserer ungleichen Gesellschaft. Und mit emotionaler Blindheit kommen wir leider nicht voran.

Was also tun?

Nichts zu tun ist keine Option. Es gibt ja immerhin Familien, die es sich auf verschiedenen Ebenen leisten können, die Optionen zu kennen und zu wählen, die unsere Erde ein wenig retten können. Ich sage ein wenig, weil ich davon Abstand nehme, dass Einzelne die Versäumnisse der Politik im Alltag ausbessern können- egal, wie viel Mühe sie sich geben, es braucht große Lösungen. Ja, sie fangen klein an, aber das wird (denke ich) nicht reichen.

Tu trotzdem was du kannst

Einige Familien können trotz der Kleinschrittgkeit ihrer Möglichkeiten handeln und ein Stück Verantwortung (auf Augenhöhe!) übernehmen. Sie können ein Beispiel sein und teilen, was sie erreicht haben: Informierte, verständnisvolle, ruhige Erwachsene können in ihrem Netzwerk Hilfe anbieten, ohne Panik zu verbreiten, sie können Gemeinschaftsgärten gestalten, ihr Wissen an Arme und Alte weitergeben, ihre Kinder empathisch erziehen (ohne überheblich zu sagen: IIhh, der xy nimmt immer nur Plastikflaschen mit in die KiTa) oder das, was sie an Ressourcen über haben, teilen. Sie können Verständnis haben für Familien, die noch nicht so weit sind, dass sie sich die Frage zur Klimalage stellen können und diese liebevoll in ihre Gedanken/Gebete/Affirmationen mit einschließen.

Wie erziehen in Zeiten der Krise?

Eltern können ihren Kindern die Angst nehmen, die sie selbst haben, die Angst, dass sie vielleicht nicht genug tun können, um die Erde zu retten. Sie können als die Erwachsenen Lösungen finden, die es ihren Kindern wiederum ermöglichen, innerhalb guter Grenzen ein Kind-gerechtes Leben zu führen- ohne Angst, ohne Sorge, ohne den Druck, als Kinder schon die globalen Dinge bewältigen zu müssen, für die selbst die „Großen“ keine Antwort haben. Sie können sinnvolle Grenzen setzen und altersgerecht darüber aufklären, warum die Familie nur ein Auto /kein Auto/keine tierischen Lebensmittel/eine Regentonne im Garten hat. Sie können den Komposthaufen erklären und dazu einladen, eine Woche ohne Wurst/ohne TV/ ohne warmes Wasser zu leben. Das alles können sie im besten Falle ohne Angst tun- denn noch mehr Angst ist nicht das, was wir brauchen.

Familien mit Ressourcen können über politische Gemeinwesenarbeit dazu beitragen, dass auch die Kinder der noch nicht so gut informierten Familien ein schönes, grünes, sinnvolles Leben in der Gemeinde haben können. Sei es mit offenen Bücherschränken oder frisch gepresstem Saft aus dem Obstgarten für die KiTa, oder einfach über ein Einladung dieser Familien in eine Welt, die sie so noch nicht kennen- in das eigene Zuhause.

Die Krise kann nicht überwunden werden, wenn wir alle nur im Einzelnen handeln. Auch nicht über Beschämung derer, die noch andere Krisenherde zu bearbeiten haben. Und schon gar nicht mithilfe der aktuellen Angstmache, die ich derzeit auf Social Media beobachte, wo selbst kleine und liebevolle Ansätze mit einer „das hilft doch noch nicht genug- die Erde wird untergehen“-Mentalität weggeballert werden.

Die Antwort auf die Klimakrise ist die gleiche Antwort wie auf alle anderen Krise auch: Liebe.

Was in jedem Fall hilft, ist Liebe. Einfach Liebe. Für dich, für den/die Nächsten, für die die noch nicht so weit sind, für deine Stadt und dein Dorf, für das Feld hinter der Haustür, für die Tiere und Pflanzen um dich herum. Für deine Kinder, für kleine Lösungen, für die Lust, es weiter zu versuchen. Und dann, am Ende, auch für unsere Erde. Suche die Liebe und teile sie. Wo Liebe ist, gibt es Lösungen, die vorher niemand denken konnte. Liebe versetzt Grenzen und macht möglich. Liebe ist auf jeden Fall stärker als die allgegenwärtige Angst, unseren Kindern eine kaputte, unrettbare Erde zu hinterlassen. Es ist die einzige Option in Zeiten der Krise. In der großen wie auch in der Kleinen. Liebe hilft. Und im schlimmsten Fall haben wir alle beim Teilen dieser Liebe etwas gewonnen- auch wenn sich herausstellen sollte, dass es doch noch dauert, bis es endlich besser wird.