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„Du kannst Weihnachten einfach nicht.“

In der Adventszeit gibt es ja viele Bräuche, die aus einer Zeit lang vor der unseren stammen. Bäume werden mit Lichtern und Kugeln geschmückt (ein Verweis auf die herannahende Mittwinternacht und die Hoffnung, dass das Licht sich bald wieder zeigt), die Menschen ziehen sich so gut es geht in ihre eigene Behausung zurück und rücken enger zusammen, und einige besonders mutige Wesen wagen sich an eine seit tausend Jahren überlieferte Alchemie, die aus einzelnen, nicht miteinander verbundenen Nahrungsmittelgruppen süße Köstlichkeiten herstellt.

Ja, die Rede ist vom Backen.

Auch in meiner Familie gibt es einige dieser mir etwas unheimlichen Wesen, die aus einer klebrigen Masse „Teig“ mehrstöckige Torten, fluffige Plätzchen oder gaumenschmeichelndes Gebäck zaubern.

Diese garnieren sie dann mit handgedrehten Marzipanröschen und feinem Zuckerguss, setzen vier oder gar fünf Böden zu neuer Architektur zusammen und rufen damit viele AAAhs! und OOOhs! hervor bei denen, die diese Träume kosten dürfen.

Ich gehöre leider nicht zu diesen Wesen.

Also, kosten darf ich schon. Allerdings muss ich jedes Mal (also etwa alle 5 Jahre, oder wenn auf den letzten Tag im Jahr Freitag der 13. oder ein Schaltjahr folgt), wenn ich mich in die Nähe eines Backbleches begebe und die obligatorischen Zutaten zusammentrage, Kommentare über mich ergehen lassen:

„Oh schau mal, Mama macht Backsteine!“ Oder: „Aber ich ess davon nichts!“ Oder: „Ich mach das schon, du brauchst dich nicht quälen.“ Nein, ich kann leider wirklich nicht backen.

Manchmal, so wie heute, versuche ich es trotzdem.

Irgendein Teil meiner intrinsischen Weiblichkeit will es doch alle paar Jahre noch mal wissen und begibt sich in die Vorhölle. Manchmal schaffe ich es sogar, etwas anzurühren, was nicht nur an den Händen kleben bleibt, sondern auch, mit etwas Fantasie, nach „Plätzchen“ aussieht.

Meistens aber endet es damit, dass ich zweifelnd auf das Abbild der Backmischungspackung schaue (ihr glaubt doch nicht, dass ich unbewaffnet in den Kampf ziehe!) und feststelle: Das sieht nicht so aus wie es soll, und ich zweifle, ob es wirklich essbar ist.

Wir haben keinen Hund, also kann ich nicht an seinem Verhalten ablesen, ob es mir gelungen ist, etwas aus dem Teig zu zaubern (Schwanzwedeln, freudiger Blick), oder ob ich wieder nur Backsteine produziere (Hund flüchtet hinters Sofa und jault). Meine Tochter allerdings hat ein sehr feines Näschen, und so kam sie eben auch in die Küche und fragte liebevoll-besorgt, was denn da „so riechen“ würde.

Okay. Message accepted.

Wisst ihr, eigentlich könnte es mir egal sein. Ich kann nicht backen. Das ist an sich kein Problem, denn dafür gibt es wunderbare Bäcker, die das beruflich machen. Oder eben jene Frauen in meiner Familie. Ich kann dafür viele andere Dinge, die mir im Alltag Freude machen und die etwas bedeuten. Was also macht mich so fertig dabei?

Die feste Idee, wie Weihnachten sein muss

Ich denke, es liegt daran, dass Weihnachten, und insbesondere der Advent, mit einer Art retrospektiven antiindividualistischen Beuge einhergeht, die mich als Frau besonders betrifft. Alles ist ritualisiert und folgt einer bestimmten (und sehr altbackenen) Vorstellung, wie „es“ zu sein hat:

(Vornehmlich) Wir Mütter sollen backen, kochen, dekorieren, zartliebevoll dabei singen und am Ende, nämlich wenn alle völlig erwartungsvoll unterm Baum sitzen und den ersten Gang genießen, auch noch fröhlich dreinschauen und ihr Werk, für das sie 6 Wochen vorher geplant, gekauft und gekocht haben, mit einem „ach geh, das ist doch gar nichts“, abtun. Die Werbung suggerierts fein vor.

Da ich nicht backen kann, wird dieses Nicht-Können schnell mal auf andere Bereiche meines Privatlebens ausgedehnt. Meine Vorstellung von „normal“, also meine Konstruktion der Wirklichkeit, wird im Angleich mit der „gängigen“ als fremdartig und anders wahrgenommen.

Wie in der Schwangerschaft avanciere ich dann zu einem öffentlichen, etwas befremdlichen Objekt, das jeder kommentieren darf:

Da ist der Baum zu bunt („oh du hast aber viele Farben gewählt“), der Braten zu vegan („also bei uns gibts immer Reh“), die Deko zu alt („Hab ich diesjahr im xxx gekauft- suuuper angesagt mit diesem Kupferton“) etc. Und indirekt sagt man mir damit:

Du bist keine gute Frau. Du kannst Weihnachten einfach nicht.

Das ist der Teil, der mich immens stört. Wenn es nur darum ginge, dass ich nicht backen kann- okay. Warum aber dieser Vergleichszwang? Ich will am vermeintlichen Fest der Liebe nicht unter Druck funktionieren müssen, und schon gar nicht will ich in einen Konkurrenzkampf mit meinen Schwestern eintreten.

Man könnte jetzt sagen, das sei etwas übertrieben, und ich solle doch einfach fünf gerade sein lassen. Will ich aber nicht, schon aus Prinzip. Ich habe eine konkurrenzfreie Zeit verdient:

Ich bin Alleinerziehend, ich schreibe meine Doktorarbeit, mein Business lebt nicht von der Liebe allein, das Jahr war wirklich tiefgründig, und ich will an Weihnachten einfach nur unter unserer Minitanne sitzen, die türkisblaugrüngelben Kugeln betrachten, und mit Kindern, Oma und Hasen Kartoffelsalat essen. Ohne vorher den Wettbewerb im Plätzchenbacken zu gewinnen.

Lasst bitte die Konkurrenz daheim

Es wäre doch schön, wenn es (wenigstens) zum Jahresende darum gehen könnte, was alles gut läuft, was wir uns als Frauen schon leisten können, wo wir erfolgreich sind, welche Hürden wir genommen haben. Und nicht darum, ob ich Mehl zu Essbarem formen kann, das besser aussieht als das der Nachbarin (so 1950s!).

Dafür müsste der ganze Konkurrenzdruck mal beiseite gelegt werden. Und dann könnte Frieden einziehen, in unseren Köpfen, in unseren Herzen, in unseren Wohnungen und überall.

Ich mach dann mal den Anfang: „Hallo ich bin Melanie, meine Plätzchen sind gekauft, und sie schmecken wunderbar.“ Na, war doch gar nicht so schwer.

Ich wünsche mir für dieses und das kommende Jahr, dass es mir und uns allen immer leichter fällt, zu dem zu stehen, was wir können, und was nicht. Weil es okay ist. Weil wir okay sind. Weil wir genau so sind, wie wir sein sollen. Und weil ich nicht alles selbst können muss, damit es gut wird. Ich nehme gerne dein Talent an, wenn es unser beider Freude dient.

Hab einen schönen Advent, und sorge gut für dich. Es ist dabei egal, ob du backen kannst, oder nicht. Du bist genau richtig, wie du bist.

Und das ist immerhin besser als alle Plätzchen, die ich je backen könnte.