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Von den Grenzen der Liebe und von ihren Möglichkeiten

Liebe.

Lass das Wort einmal einfach auf dich wirken. Liebe. Welche Bilder oder Gedanken kommen in dir hoch, wenn du dich darauf einlässt?

Rosarote Wattewolken mit tanzenden Einhörnern? Ring und weisses Kleid? Ein Versprechen für immer? Geigen und Sonnuntergänge? Oder eher ein Engegefühl in der Brust, Kummer und „Ich habe versagt“, ein „Niemand liebt mich“, oder gar Angst?

Es gibt keine richtige Antwort auf die Frage. Alles, was du fühlst, wenn es um Liebe geht, hat seinen berechtigten Platz.

Wenn ich von Liebe spreche, habe ich natürlich auch eine idealisierte Form im Kopf. Um mit der Liebe in Kontakt zu treten, muss ich sie davon befreien. Das heißt, ich nehme alle Unwägbarkeiten, all den Schmutz und durch die Werbung überfrachteten Bilder und ziehe sie von der Essenz dessen ab, was ich als Liebe erachte.

Trotzdem bleibt noch mein persönlicher Deutungsrest, daher wundere dich nicht, wenn mein „Liebesbegriff“ von deinem abweicht.

Genau hier, in dieser Abweichung, die diene Liebe und meine zueinander haben, zeigt sich, warum es so schwer ist, über Liebe zu schreiben oder auch zu reden. Liebe ist überfrachtet als Begriff, individuell, kollektiv, jahrtausendelang belagert von Ideen und Philosophien, und dadurch nicht mehr greifbar.

Wie sich also etwas so Schwammigem nähern?

Wie bei allem, was auf den ersten Blick zu viel oder zu groß ist, empfehle ich, kleinere Teile des Großen Ganzen zu untersuchen.

Babies haben diese Fähigkeit noch: Sie erkunden alles mit allen Sinnen und machen vor Werten keinen Halt. Da wird angelutscht und angefasst und probiert und dran gerochen und auf den Boden fallen gelassen und mit anderen Dingen gemischt … bis in etwa klar ist, um welchen Gegenstand es sich handeln könnte und welcher Zweck das Ganze zu haben scheint.

Dabei sind Babies schlau: Sie probieren immer weiter, auch wenn das Ding, das sie untersuchen, schon hunderte Male in der gleichen Weise reagiert hat, geben sie ihm immer wieder eine Chance, sich anders zu verhalten. Es könnte ja diesmal anders sein.

Wo die Welt für Babies voller Wunder ist, sind wir Erwachsenen längst mit unserer Realität eins geworden.

Das, was wir vor Urzeiten einmal als „wahr“ angenommen und festgelegt haben, behalten wir bei. „Never touch a running system“, könnte man sagen. Funktioniert, bloß nichts dran ändern.

Wenn es um die Liebe geht, kann das zum Problem werden: Wir bleiben in Beziehungen, die uns nicht mehr guttun, erlauben, dass Partner*innen die Grenzen überschreiten, weil wir es aus der Herkunftsfamilie so kennen oder bleiben alleine, weil wir uns für nicht gut genug, zu alt, zu hässlich etc halten, um es in der „Welt dort draussen“ mit den Schönen, Jungen, Reichen aufzunehmen.

Die Werbung hilft kräftig dabei mit und vermittelt uns, dass Liebe einem festgelegten Konstrukt folgen muss: Wenn wir dieses nicht erleben, wenn wir uns außerhalb der Norm bewegen, dann kann es keine wahre Liebe sein. So wird es in tausenden Filmen und Parfüm- und Pizzawerbungen und in jedem Supersale vermittelt- das passende Produkt schafft dann schnell Abhilfe, falls wir uns noch auf dem Liebesholzweg befinden.

Leider schränkt all dieses Haben wir schon immer so gemacht-Verhalten das Potential ein, das Liebe mitbringt, wenn man sie denn lässt.

Liebe heilt. Liebe macht möglich. Liebe erschafft. Liebe vergibt. Liebe wärmt. Liebe lässt wachsen. Liebe vollbringt Wunder und verändert unsere Welt.

Die Sache hat nur einen Haken: Wir kommen nicht in den vollen Genuss dieser Superkraft, wenn wir nicht bei uns selbst mit dem Einüben von Liebe beginnen.

Louise Hay hat das in den 1970er Jahren bereits erkannt und bat daher die Teilnehmenden ihrer Seminare, die Selbstliebe in ihr Leben einzuladen. Sie sollten mehrmals am Tag in den Spiegel sehen und sich das Ungeheuerliche selbst sagen: Ich liebe dich.

Statt sich dem Partner oder der Partnerin zuzuwenden und alle Bedürfnisse von ihm/ihr erfüllt haben zu wollen, sollten die Teilnehmenden erkennen, wie sehr sie schon dazu in der Lage waren, sich selbst hingebungsvoll anzuerkennen. Mit allen vermeintlichen Makeln und Fehlern und genau so, wie sie in dem Moment in den Spiegel blickten.

Erkenne dich selbst, und du erkennst die Welt- was für eine kraftvolle Übung!

Beim Blick in den Spiegel begegnen wir uns selbst, und damit auch dem Istzustand unserer Liebe. Mag ich mich? Finde ich mich schön? Bin ich zufrieden mit mir? Oder nehme ich wahr, was mir von Anderen, schon von klein auf, als unzureichend gezeigt wurde?

Höre ich die kritische Stimme eines Verwandten, der meine Nase zu groß, meine Augen zu schmal, meine Haare zu splissig findet? Oder lehne ich mich gar ganz ab, rührt mich der Blick in den Spiegel zu Tränen? Zeigen sich Trauer und Wut?

Auch in diesen Reaktionen ist Liebe. Die Worte, die wir um Angst und Hilflosigkeit herum gebaut haben, um uns vor Verletzungen zu schützen, die Scham und Schuldgefühle, die andere uns eingeflösst haben, weil wir sie mit ihren eigenen Ängsten konfrontiert haben- sie können nur ummanteln, was sich darunter verbirgt.

Zerstören kann man die Liebe nicht.

Stellen wir uns dieser Dunkelheit, kommen wir unweigerlich wieder zurück dahin, wo wir als Babies waren: Zu uns, zu unseren Bedürnissen, zur Neugier auf die Welt. Unter den Schichten unserer Zwiebelseele wartet das, was uns als Menschen ausmacht. Schälen wir all die Projektionen und Verletzungen ab, kommen wir zurück zu einer kraftvollen Quelle. Zur Liebe zum Sein. Zur Liebe.

Ich sage nicht, dass es leicht ist, sich auf die Suche zu machen. Und nicht jeder Zeitpunkt ist passend für eine solche Suche, die sehr tief geht und uns mit uns selbst konfrontiert.

Aber wenn wir uns darauf einlassen, werden wir reich beschenkt: Mit Vertrauen in uns selbst, das verloren war. Mit Anerkennung, die wir bisher im Außen gesucht haben. Mit einer Wärme in der Herzgegend, die uns führt, wenn der Kopf keinen Ausweg weiß. Mit dem Mut, jemandem die Hand zu reichen, der sich noch keinen Spiegelblick traut.

Sie lohnt sich also, die Liebe. Für uns und ür alle anderen. Geben wir ihr doch die Chance, sich neu zu entfalten, und wir uns in ihr.