Projekt Frei-Garten

Ich wusste damals noch nicht, dass Ökofeminismus „a thing“ ist, aber…

Seit ich klein war, habe ich mich mit der Natur und den Tieren um mich herum beschäftigt:

Jeder Käfer, jedes Tier und jede Pflanze waren interessant, wurden betrachtet und angefasst, und nicht selten habe ich mit ihnen so gesprochen, als könnten sie mich verstehen.

In der Kleinst-Landwirtschaft meiner Großeltern kam ich früh in Kontakt damit, was es bedeutet, die eigenen Nahrungsmittel zu produzieren: Ich war bei der Kirschenernte dabei, pflückte Stachelbeeren und stand in der Mittagshitze nach der Arbeit auf dem sandigen Feld im Baumschatten, wenn wir zusammen das Picknick zu uns nahmen, das meine Großmutter vorbereitet hatte.

Als ich dazu kam, mich mit dem Grundstück zu beschäftigen, das einst zur Landwirtschaft gehört hatte, hatte sich die Natur ihren Platz zurückerobert: Wo einst Kartoffeln wuchsen, war über die Jahre hinweg eine kleine Wildnis entstanden, mit Eichen und Nussbäumen und einer großen Brombeerhecke, die sich in den Mittelpunkt allen Wachstums gestellt hatte.

Ich fing an, kleine Wege anzulegen, die den natürlichen Wildwuchs so gut wie es gingen belassen. Nach einem anfänglichen Wunsch, einen Gemüsegarten anzulegen, musste ich ernüchtert feststellen, dass das Feld seinen eigenen Rhythmus hat:

Statt den gewünschten Gemüsesorten rankten Brennesseln, vervielfältigten sich die Wildkräuter, und dort, wo ich freigeschnitten hatte, kamen schnell kleine Büsche hervor, die eine noch dichtere Vegetationsdecke als vorher bildeten. Schnell lernte ich, dass ich in die typische Ego-Falle des Menschen getappt war: Alles muss sich unterordnen, ganz nach dem alten Motto „der Mensch beherrscht die Natur“.

Dann sah ich mich zum ersten Mal bewusst um:

Alles war genau richtig, wie es sein sollte, nur ich, die Ent-Fremdete, hatte sich von dieser Wahrheit entfernt.

Mit neuer Demut fing ich an zu überlegen, wie ich MIT der Natur arbeiten kann, und stieß auf die Prinzipien der Permakultur. Schnell zeigte mir die Natur von da an klar und deutlich, was ich zu tun habe: Ich beobachtete, wie die Licht- und Schattenverhältnisse auf dem Gelände sich abbilden. Wie sich die Sonne am Morgen in den Bäumen fängt und bestimmte Bereiche durch Hecken beschattet werden. Welche Tiere auf dem Weg durch das Dickicht gehen, und was sie dabei fressen. Und ich begann, diesen Bewegungen im Raum um mich herum Rechnung zu tragen.

Den Gemüseanbau habe ich dort wieder aufgegeben, erkenne aber nun immer mehr Kräuter, die frei wachsen und die ihre eigene Wirkungen mitbringen. In der Mitte des Feldes gibt es nun einen Sitzplatz, da dort von alleine ein lichter Platz entstanden ist. Eine Benjeshecke aus dem herumliegenden Totholz bietet vielen Kleinsttieren, und ganz besonders meinem Liebling, dem Tigerschnegel, einen geschützten Lebensraum. Und in den bestehenden Haselnussbäumen und Hecken singen Meisen und Rotkehlchen und dürfen Tauben ihre Nester bauen.

Der Frei-Garten ist aus sich selbst entstanden, mit allen möglichen wilden Ecken, die es zu entdecken gibt, und ich darf als Bewahrerin ein Teil davon sein.

Ich sitze und beobachte nun auf diesem Stück Feld und meditiere, lasse los. Was ich dort erfahre, nehme ich mit in den Alltag, und neue Räume des Beobachtens haben sich damit aufgetan:

Im Stadtraum sehe ich essbare Pflanzen, erkenne Tierspuren rund um die stark befahrene Straße und bemerke, wo sich Kräuter im Asphalt den Weg bahnen. Diese Beobachtungen geben mir die Kraft, auch in meinem beruflichen Alltag daran zu glauben, dass eine Wendung zum Besseren möglich ist.

Dieses Geschenk hätte ich nicht erhalten können, wenn ich mich nicht in den Kontakt mit allem begeben hätte. Und durch diese Erfahrungen ist mir nicht erst seit der Ausbildung zur Kräuterpädagogin in 2024 klar, dass es gute Gründe dafür gibt, die Beziehungen zwischen uns und der Natur, von der wir ein Teil sind, zu erhalten und auszubauen:

  • Menschen, die in der Natur unterwegs sind und aufmerksam schauen, was dort vorgeht, erleben, wie sich das Körpersystem reguliert, wie die Gedanken positiver werden und wie sich ganz allgemein ein Wohlgefühl einstellt, wenn Körper und Geist zusammenarbeiten. Die psychische Gesundheit wirkt gestärkt.
  • Achtsamkeit bei Aufenthalt in der Natur stärkt die Widerstandskraft. Der Kontakt und die Beobachtung von Tieren macht uns bis in das Nervensystem hinein glücklicher.
  • Besonders Kinder, Menschen mit geringem Einkommen und Menschen, die eine hohe emotionale Belastung haben, erholen sich draussen gut und finden neue Kraft für den Alltag. Natur wird ein Gegengewicht zum vielen Sitzen und Denken im Tagesverlauf.

Ich bin nicht die erste, die sich mit den Auswirkungen der Umwelt auf Körper und Seele, insbesondere für Frauen, beschäftigt. Frühe feministische Ansätze von Maria Mies, Annette Kolodny und Vandana Shiva (trotz aller Kritik an ihrer Person) zeigen seit den 1970er Jahren, dass besonders Frauen unter Naturzerstörung und Abbau der natürlichen Ressourcen leiden, etwa, weil sie in vielen Ländern der Erde noch für Wasserbeschaffung oder Landbestellung zuständig sind und unter weiteren Wegen, Wasserverknappung und Dürre leiden.

Die Arbeiten von Christine Ahrend und Christine Baumhardt verweisen seit den 1990er Jahren auf städtische Räume als für Männer konzipierte Räume, die den Anforderungen von Frauen im Alltag nicht gerecht werden, sondern für den männlichen Arbeitstag geschaffen wurden, und auf die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten, die sich hier zeigen. Und feministische Stadtplanung ist eines DER Schlagworte, mit der endlich die Wende für die überhitzten und zubetonierten Städte kommen und angesichts des Klimawandels Erfolg versprechen soll.

Es mag vieles von den oben genannten Themen in deinem Alltag zu anstrengend, zu groß, und manches auch zu weit weg sein, um es verändern zu können. Aber jeder kleine Schritt in Richtung Zuwendung zur Natur, zu einem anderen Rhythmus als dem der Unterordnung unter die Folgen dieser hausgemachten Klimakrise, kann hilfreich sein, wieder in Kontakt zu kommen mit dem, was Kraft gibt, was wichtig ist. Burnout-Vorsorge, sozusagen, für Körper, Geist und Seele, vielleicht sogar für die Menschheit an sich.

Als Mütter, Schwestern und Chefinnen sind wir oft diejenigen, die einen Kulturwandel in der eigenen Familie und im eigenen Wirkungskreis/Unternehmen anstoßen können. Auch wenn es anstrengend und undankbar ist, wie so oft die emotionale Arbeit unbezahlt zu machen, von der schließlich alle profitieren … Aber hier gibt es Karma-Punkte zu holen:

  • Sei es durch die Auswahl der Lebensmittel, die wir kaufen und zubereiten
  • Sei es durch die Wahl der Reinigungsmittel, mit denen wir unsere Umwelt säubern
  • Sei es durch den Konsum von Textilien, Make-Up und Innendekoration, mit denen wir uns täglich in Berührung kommen
  • Sei es durch die Planung von Ressourcen und Wegen auf unseren täglichen Alltagsroutinen
  • Sei es in der Personalverantwortung für die Mitarbeitenden, für die Aufmerksamkeit auf ihre mentale Gesundheit und ihre körperliche Verfasstheit in der Arbeitszeit
  • Sei es über die Aufklärung des umliegenden Umfeldes über das, was noch anders gehen kann und die aktive Umsetzung guter Ideen im Kleinen (Bienentränke, Nisthilfe, Mülltrennung, Laufen, Zeit statt Zeug, …)
  • Sei es über den Schutz und den Genuss von natürlichen Umgebungen, die vor der Haustür liegen und da sind und GESEHEN werden wollen

Die Entscheidung, möglichst nahe an und mit der Natur zu sein, ist eine lebensverändernde, im besten Sinne: Wir, als Menschheit, sind auf die Natur, als unsere Lebensgrundlage, angewiesen. Und das ist der einfache Grund, warum ich, statt resigniert mit den Schultern zu zucken, meine ressourcenorientierte Sicht der Dinge jetzt auch ganz praktisch im Umgang mit der Natur anbiete.

Wenn das mal keine guten Gründe für das Projekt Frei-Garten sind!

Das Projekt Frei-Garten ist als Projekt angelegt, um den Freiheitscharakter zu betonen. Heißt: Das Projekt darf erstmal wachsen, was später gemäht wird, entscheidet sich dann.

Da der tatsächliche Frei-Garten noch sehr wild ist und noch keinen ausreichenden Platz für Angebote bietet, trage ich die Beobachtungslust in den Raum, in den ich mich gut zwischen Rhein und Wald in Rheinland-Pfalz auskenne. Mit dem Projekt Frei-Garten trage ich meinen Teil dazu bei, dass der Dialog zwischen uns Einzelnen und der uns umgebenden Umwelt weitergeführt wird.

Alle aktuellen Veranstaltungen, wie Kräuterwanderungen und Events, sind unter dem Veranstaltungsteil bei Seminare und mehr als Projekt Frei-Garten aufgeführt.

Bist du dabei?