© 14.11.2025, Dr. Melanie Oehl
(Mindestens) Ein Viertel Jahrhundert Mutterschaft: Ein Dienstjubiläum, das ohne Anerkennung bleibt. Kein Eckbüro, keine goldene Uhr, nicht mal ein Blumenstrauß. Da es fürs Durchhalten, Verkörpern und Ausgestalten dieser fundamentalen Rolle über den langen Zeitraum hinweg wenig Aufmerksamkeit gibt, schenke ich mir selbst und allen anderen Müttern diesen Artikel.
Schon der Beginn dieses immensen Zeitraums lässt sich diskutieren: Zähle ich als Mutter mit der ersten vollendeten Schwangerschaft? Oder zählt die Fehlgeburt davor mit dazu? Immerhin gab es einen Mutterpass, auch wenn dieser nicht zur vollen Verwendung kam. Mein Körper war trotzdem verändert, daher sage ich: Mindestens 25 Jahre bin ich also nun „dabei“.
Dass sich die Rolle von mir als Mutter nach der langen Zeit inhaltlich verändert hat, genau wie mein Körper, ist klar: Heute geht es vielmehr um ein Wiederheraus-Schälen aus den Konstrukten, die Mutterschaft für meinen Alltag mit sich gebracht hat als um Windeln, Brei und Frühförderung, und wie praktisch, dass das in eine Zeit fällt, die ebenso normativ unterfüttert ist- die kommende Menopause. Da können sich Mütter direkt von einem Kampf in den nächsten begeben, damit wir auch ja nicht des Kämpfens müde werden. Entspannung? Überbewertet.
Während sich die Natur einen guten Reim darauf gemacht hat, findet sich auf gesellschaftlicher Ebene nämlich leider immer noch kein gesunder Zugang zu den vielen Anforderungen, die auf Mütter erwartet: „Du wolltest doch Kinder“ steht im öffentlichen Diskurs direkt neben „Warum kriegen Frauen nicht mehr Kinder“, während die tatsächlichen Ursachen unhinterfragt bleiben. Die Frage „Du wolltest es doch“ kenne ich gut aus einem anderen Kontext von Victim-Blaming und Schuldverschiebung, nur, dass ich als alleinerziehende Mutter nicht gefragt werde, was ich anhatte, sondern ob ich mir den Mann denn nicht vorher gut genug ausgesucht habe- mit der folgenschweren Konsequenz, dass ich doch nun, alleine, selbst dafür sorgen müsse, dass ich klarkomme. Selbst schuld, wie immer?!
Aber habe ich mir „das“ und „So“ wirklich selbst ausgesucht? Hat nicht im ersten Schritt mein Körper entschieden, wann er bereit ist für Mutterschaft? Habe ich nicht auch die Rahmenbedingungen für Muttersein vorgefunden, wie sie sind, bzw. waren, als ich mich entschieden habe, das Baby zu bekommen, das sich dann entwickeln wollte? Und hat nicht auch der Kindsvater selbst entschieden, wie lange er aktiv in der Beteiligung sein will, bevor er sich für 20 Jahre aus dem Staub gemacht (und keinen Unterhalt gezahlt) hat?
Die patriarchalische Ausrichtung unserer Gesellschaft verkauft Müttern ein Narrativ, das sie gänzlich in die Verantwortung zwingt, ohne unterstützend tätig zu werden: Die Rolle und die damit verbundenen Erwartungen sind vorgegeben, aber sie kollidieren mit den Erwartungen an Frau-Sein, an Arbeitnehmerin-Sein, an Care-Arbeit überhaupt, und sie lassen die Unterstützung vermissen, die es braucht, um diesen Rollen nur im Ansatz gerecht zu werden. Ich habe mich entschieden, den Weg trotzdem zu gehen. Die Felsbrocken, die ich auf dem Weg der letzten 25 Jahre vorgefunden und eigenhändig weggeräumt habe, hatte ich allerdings nicht erwartet:
- Amtsvormundschaft für junge unverheiratete Mütter, da 2000 noch Kontrolle statt „Frühe Hilfen“ im Vordergrund standen, zwangsweise Besuche beim Jugendamt inklusive
- Mangelnde Unterstützung für Studierende mit Kind: Von Eltern-Kind-Räumen, abgestimmten Betreuungszeiten, Mutterschutz oder Hilfen aus dem SGB für Studierende konnte ich nur träumen
- Ein Unterhaltsvorschuss, der in weiten Teilen des Bezugs nur für Kinder bis 12 Jahre erhoben werden konnte. Die Jahre bis zur Volljährigkeit? Habe ich mit Putzstellen und anderen prekären Arbeitsstellen neben dem Hauptjob überbrückt.
- Keine Wahrnehmung von nicht-normativ ausgestalteten Lebensrealitäten in der deutschen Bürokratie: „Sie müssen das Einkommen/die Anschrift des Vaters nachweisen“… okay, aber ich weiß nicht, wo er wohnt, er hat den Kontakt abgebrochen. „Dann kann der Antrag bis auf Weiteres nicht bewilligt werden.“ Das Murmeltier grüßt auch 2025 wieder täglich beim BaföG-Antrag, obwohl das betroffene Kind erwachsen ist und zum Studium in die Großstadt gezogen ist.
Und wäre das alles nicht schon genug, sehe ich nun die Langzeitfolgen der vielen Herausforderungen: Gender Pay Gap, Gender Care Gap, Gender Lifetime Gap… obwohl ich mehr als genug gearbeitet habe, ist ein Großteil meiner Arbeit unbezahlt und unregistriert geblieben. Die Lücke, die zwischen meiner Altersvorsorge und der eines arbeitenden Vaters klafft, ist immens. Altersarmut und Mutterschaft sind eng miteinander verbunden: Schließlich habe ich die Kosten für die Kinder alleine erwirtschaftet und über lange Zeit hinweg so nicht die Mittel gehabt, um in eine gescheite Altersvorsorge für mich selbst einzuzahlen.
Und jetzt, nachdem die Kinder erwachsen sind und ihre eigenen Wege gehen, kommt ein weiterer Rollenwechsel: Ich soll mich aus der Rolle, die ich über Jahrzehnte verKÖRPERt habe, einfach still und heimlich herausschälen, soll jetzt „für mich selbst“ etwas machen, als seien mein Gehirn und mein Körper nicht dauerhaft verändert und als sei Mutterschaft eben ein Mantel, den man einfach ablegt, wenn die Zeit dafür reif geworden ist. „Die gehen jetzt ihre eigenen Wege, so ist das nun einmal.“ Ja, weiß ich, ich habe sie dahin erzogen, dass sie dazu in der Lage sind. Und trotzdem ist da eine Leere, wenn die Rolle und die Aufgabe sich verändert. Rituale, die dieses Ablösen gesellschaftlich einordnen könnten, sind in kapitalistischen Gesellschaften verloren gegangen: Es wäre ja auch zu unbequem (für das Patriarchat), wenn nun all die Frauen, die Care-Arbeit gemacht haben, nun einen interessanten und angesehen Platz in der Gesellschaft erhalten müssten, auf dem sie Respekt, Anerkennung und eine neue sinnhafte Aufgabe erhalten würden.
Stattdessen wird aktuell die Großelterndebatte besonders in den Kommentarspalten in Social Media geführt, die sich eben auch wieder an Mütter richtet: Nachdem sie die eigenen Kinder erzogen haben, wird darüber diskutiert, ob es sich denn gehört, dass sie nun keine Lust auf Enkelsitting haben- wie undankbar sie doch seien, die eigenen Kinder/Töchter nicht zu unterstützen. Was mir hier fehlt, ist das Mitgefühl für eben diesen Jahrhundertprozess, den viele Mütter mit sich alleine ausgemacht haben, ohne Anerkennung, und ohne gesellschaftliche Aufwertung für diese Basisaufgabe. Denn vergessen wir nicht: Erziehung und Pflege bildet die Grundachse einer Gesellschaft. Das können die „mageren Rentenpunkte“, wie es eine mir bekannte Alleinerziehende einmal ausgedrückt hat, nicht ausgleichen.
Was bleibt also nach einem viertel Jahrhundert Dienst am Kind? Würde ich es wieder tun? Die Frage berührt den tiefsten Kern von Mutterschaft, und vielleicht sogar von Menschsein: Wie gehen wir miteinander um und welche Forderungen stellen wir an die, die unsere Gesellschaft durch ihr unsichtbares Handeln formen? Machen wir es ihnen leicht und geben wir ihnen Unterstützung? Oder stellen wir sie unter Generalverdacht, schieben wir ihnen Schuld und Scham zu, während sie sich unter den herabfallenden Belastungen nur schwerlich aufrichten können?
Ja, ich liebe meine Kinder und unsere Verbindung, und diese würde ich auf keinen Fall eintauschen wollen. Wir sind zusammengewachsen, auch über alle Hürden hinweg. Wenn ich aber alleine auf die Rahmenbedingungen und auf die Bewertungen schaue, die besonders mit alleinerziehender Mutterschaft einhergehen, bin ich unsicher: Eine Solidarität unter Frauen, unter Müttern, und für Frauen und Mütter, vermisse ich in dieser Gesellschaft. Ohne Solidarität ist Mutterschaft weiter ein Kampf, der zu Lasten der Einzelnen geht, anstatt die Strukturen der Einschränkung zu hinterfragen und aufzubrechen. Es sind Bewegungen sichtbar, Aufschreie, gute Entwicklungen… es bleibt zu beobachten, wie es sich unter dem aktuellen Feminist Backlash entwickelt. Ich bleibe jedenfalls dran. Da ich die Hände nun frei habe, kann ich meine Energie dort einsetzen, wo sie gebraucht wird, und mit meiner Geschichte eine Perspektive anbieten. Vielleicht werde ich in einigen Jahren, wenn das nächste Dienstjubiläum ansteht, nicht mehr dazu gebraucht, sondern kann anfangen, diese Entspannung zu üben, die mir die Werbung auch 2025 noch verspricht, wenn sie uns die gutaussehende, stillende Mutter mit ihrem gepflegten, ruhigen und satten Baby im Hochglanzformat zwischen Selbstgekochtem und einer aufgeräumten Wohnung zeigt.